Dieses Thema beschäftigt mich jetzt schon eine Weile, vor allem weil es in Kampfsportkreisen eine sehr übliche Anschauung ist. Jeder kennt die Rocky-Filme: Der Underdog gewinnt am Ende nur durch Herz und unglaublich hartes Training. Dabei wird vermittelt, dass nur wer sich mit aller Härte dazu zwingt sich jeden Tag im Training zu quälen, eine Chance darauf hat am Ende als Sieger dazustehen. Das ist alles natürlich sehr amerikanisch. (Rocky soll hier nur als Metapher für diese Einstellung stehen, d.h. es geht mir nicht so sehr um die Filme an sich.) Diese Einstellung findet sich nämlich nicht nur im Kampfsport, sondern fast überall: "Wenn du nicht hart arbeitest/trainierst/etc. , dann wirst du nie etwas erreichen!" In der Schule, in der Arbeit, evtl. von den Eltern und eben auch im Kampfsport wird man damit konfrontiert. Ich muss noch dazu sagen, dass ich diese Einstellung nicht von Grund auf schlecht finde, aber eben zu einfach. Ich will mich hier jetzt auch vor allem aufs Training beziehen, aber es lässt sich alles auch auf andere Bereiche wie z.B. Arbeit übertragen.
Der Punkt ist, immer blind alles geben, immer blind nach Plan arbeiten wird der Komplexität der Welt nicht gerecht. Die Welt ist nicht so monoton und konstant, dass ein immer gleicher Plan immer passt und wir sind eben Teil der Welt. Insbesondere wenn es um Dinge geht, die den Körper betreffen, also physisches Training, ist das denke ich besonders wichtig. Wie in Nietzsches Zarathustra steht:
"[...] der Erwachte, der Wissende sagt: Leib bin ich ganz und gar, und nichts außerdem"
"Der Leib ist eine große Vernunft, eine Vielheit mit einem Sinne, ein Krieg und ein Frieden, eine Herde und ein Hirt."
"Es ist mehr Vernunft in deinem Leibe, als in deiner besten Weisheit."
Zarathustra spricht hier davon, dass entgegen der üblichen Betrachtung, die das Denken als die oberste Instanz darstellt, der Körper als eine zumindest ebenso wichtige zu betrachten ist. Wenn mein Körper (nicht mein Kopf) mir sagt, dass ich das Training heute besser sein lasse, dann ist das wahrscheinlich eine gute Idee. Der Körper hält sich nicht an irgendwelche Pläne, sondern funktioniert entsprechend seinem eigenen Gefühl.* Wenn man sich im Kopf selbst im Weg steht, dann ist das etwas anderes. Hier ist gemeint, wenn im Kopf mal Ruhe ist und man auf den Körper hört (Wie fühle ich mich?), dann sollte man entsprechende Rückmeldung erhalten können. Manchmal fühlt man sich schlecht und Training ist genau das Richtige, manchmal eben nicht. Ein fester Trainingsplan kann am Anfang eine gute Hilfe sein, trotzdem bin ich der Meinung, dass man sich am besten fühlt und sich weniger wahrscheinlich verletzt, wenn man auf seinen Körper hört und nicht nur auf den Plan schaut. Das ist natürlich nicht immer einfach, aber eine Orientierung in die richtige Richtung.
*Grammatikalisch klingt das zwangsläufig immer so, als wären Körper und "ich" zwei verschiedene Dinge. Das ist aber nicht der Fall, nur die Grammatik lässt es so aussehen. Um darüber sprechen zu können, dass der Körper ebenso "ich" ist und deswegen Beachtung verdient, wird es hier so aussehen als spräche ich von zwei verschieden Instanzen, die unabhängig voneinander existieren. Denn es besteht die Möglichkeit zu glauben, der Kopf sei eine einzelne und einzig relevante Instanz, was dazu führen kann, dass man die physischen "Signale" missachtet und stur bleibt. So erkennt nur der Erwachte, dass er ganz Leib ist.
Vielleicht lässt sich diese alternative Einstellung am besten mit einem taoistischen Prinzip erklären: Wu-Wei. Der Taoismus (oder auch Daoismus) war einer der größten Einflusse von u.a. Bruce Lee. So ist zum Beispiel das berühmte Bruce Lee Video bzw. Interview, in dem er daüber spricht sich "wie Wasser" zu verhalten ("be water"), angelehnt an die zentrale Metapher des Daoismus: Wasser.
Weiter war der Engländer Alan Watts für Bruce Lee eine der Hauptquellen für daoistische Philosophie. Um das Prinzip Wu-Wei ( hier sehr sehr grob) zu erklären lassen sich also beide passend zitieren:
Bruce Lee & Alan Watts haben sich oft auf diese Metapher bezogen:
". . . the parable of the pine and the willow in heavy snow. The pine branch, being rigid, cracks under the weight; but the willow branch yields to the weight and the snow drops off. Note, however that the willow is not limp but springy." - (Alan Watts)
"Notice that the stiffest tree is most easily cracked, while the bamboo or willow survives by bending with the wind." - (Bruce Lee)Und noch einmal Alan Watts:
". . . wu-wei as "not forcing" is what we mean by going with the grain, rolling with the punch, swimming with the current, trimming sails to the wind, taking the tide at its flood, and stooping to conquer." - (Alan Watts in "Tao: The Watercourse Way")
Wu-Wei lehrt sich an den Gegebenheiten der aktuellen Situation zu orientieren. Ein Plan kann zwar grobe Richtlinie sein, aber stur dem Plan folgen ohne darauf zu achten wie die Gegebenheiten jetzt gerade sind (körperlich, also intern und auch was äußere Umstände angeht, also extern) ist, wie Alan Watts sagt: "Eating the menu instead of the dinner." Wu-Wei kann in diesem Kontext bedeuten manchmal weniger zu trainieren, manchmal sehr viel und manchmal gar nicht. Das selbe gilt für die Trainings-Intensität. Die sture Rocky-Mentalität führt meiner Meinung nach dementsprechend oft zu Verletzungen und eher zu Rückschritten als zu Fortschritt. Natürlich kann es sein, dass diese Mentalität für manche Leute sehr gut funktioniert, für mich aber eben nicht.
Abschließend will ich noch ein aktuelles Beispiel verwenden, das meiner Meinung nach zeigt, dass diese an den Daoismus angelehnte Einstellung, abgesehen davon, dass so zu trainieren mehr Spaß macht, auch für Erfolge auf sehr hohem Niveau ausreicht. Denn wenn du dann trainierst wenn es angemessen ist und du dementsprechend Lust darauf hast, dann wird das Training dadurch, dass es mehr Spaß macht viel effizienter und die Fortschritte stellen sich schneller ein.
UFC Federgewicht Conor McGregor, der aktuell 4 Kämpfe in Folge gewonnen hat und wohl als nächstes einen Titelkampf vor sich hat, beschreibt seine Trainingsphilosophie wie folgt:
Video von MMA fréttir
UFC Federgewicht Conor McGregor, der aktuell 4 Kämpfe in Folge gewonnen hat und wohl als nächstes einen Titelkampf vor sich hat, beschreibt seine Trainingsphilosophie wie folgt:
(2:20-2:57 im Video)
"Sometimes in my home it's [...] 2 o'clock in the morning, I'm saying: You know what, I wanna go to the gym and blast music and hit the bag, or [...] bring someone along with me and grapple ten rounds straight. The other day me and Gunn[ar Nelson] were here at 3 o'clock in the morning and grappled 10, 15 rounds straight. It's good for the mind. I operate on my own. I don't like to follow a schedule, some people need that. Like an army-style thing: 'Be here at this time, do this, do that!' I just like to freeroll. When I feel like doing it, I do it, when I don't, I don't. .. But most of the time I feel like doing it. "Und nochmal in diesem Highlight-Video:
(2:40-2:57 im Video)
"I'm gonna do what I wanna do. [...] If I don't wanna train, I won't train. I listen to myself. Rather than showing up and killing myself in the gym everyday. I just..go with the flow. Do what I feel my body needs."
"Go with the flow." Näher an Wu-Wei und Taoismus geht es fast nicht. Er hört auf sich und richtet sich nicht nach einem festen Plan. Dadurch ist er wenn er trainiert effektiver und effizienter und hat auch noch mehr Spaß daran. Und das heißt nicht, dass er nicht "hart" trainiert. Nur eben nicht immer, aber wenn, dann richtig.
Zum Abschluss ein Zitat von John Kavanagh, dem Trainer von Conor McGregor:
"In the first half of Rocky III we're presented with a false dichotomy. Train 'super hard' and get the win or lose your way, slack off and you'll get whooped. in the 2nd half of 'the hero's journey' our protagonist returns to a formula we are used to. train to failure, fight with heart and the win is yours. i humbly propose an alternative. train smart.
An easy phrase to say, difficult to articulate. from your approach to warm ups, sleep, food intake to sparring, rest, mentality, re/pre hab, injury management etc etc. If your approach is not holistic and smart you will be 'an also ran'. As Mulder said - the truth is out there!"
Eine Alternative zu Rocky kann also meiner Meinung nach taoistischer Natur sein. Diese macht nicht nur mehr Spaß, sondern ist auch noch effizienter und effektiver. Ein Lehrer in der Schule hat mein Verhalten mal mit "Lustprinzip" bezeichnet. Obwohl er das wohl offensichtlich abwertend gemeint hat, finde ich den Begriff ganz passend. Sofern man "Lust" hier so versteht, dass man trainiert/arbeitet etc., wenn es passt, wenn es sich richtig anfühlt und es Zeit ist.
Guten Tag,
ReplyDeleteich halte Ihre Theorie für abwegig und im Bezug auf das körperliche Training für unbrauchbar.
Erstens erachte ich die Dichotomie zwischen Körper und Verstand als nicht mehr zeitgemäß und den Verweis auf Nietzsche als Beweis seiner Richtigkeit für fragwürdig.
Zweitens war Bruce Lee für sehr elaborierte Trainingspläne bekannt und folgte selten seinem "Bauchgefühl". Auch wenn es durchaus klug ist auf seinen Körper zu hören, ist für eine intuitive Trainingsplanung sehr viel Erfahrung notwendig, was auch Dan John in seinen Artikeln - als Verfechter eines intuitiven Trainings - hervorhebt.
Drittens ist der Beweis mittels idiographischer Berichte nicht angemessen um allgemeine Empfehlungen zu geben. So hat Martin Rooney in seinem Artikel auf T-Nation herausgestellt, dass der MMA-Bereich ein Sammelbecken für absurde Trainingstheorien ist, und definitiv nicht als Richtlinie für gutes Training verwendet werden sollte.
Fazit: Daoismus und Wu Wei mag ein guter Lebensentwurf sein, als Trainingsmethode aber eher zweifelhaft und nicht empfehlenswert, vor allem weil man große selbstregulative Fertigkeiten und etablierte Trainingsmuster, die in einen zielgerichteten Makroplan implementiert sind, besitzen sollte.
LG Marek Kurtz
Hallo und erstmal vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren.
DeleteIch habe den Eindruck was Sportwissenschaften und solche Dinge angeht, kennen Sie sich besser aus als ich. Dieser Artikel ist auch nicht der Versuch eine wissenschaftliche Theorie aufzustellen, sondern eher ein Experimentieren mit Ideen, die vielleicht ja manchen Leuten ebenso gut gefallen wie mir. Ich habe auch den Eindruck, es gäbe zumindest ein Missverständnis.
So sieht es für mich aus als würden Sie annehmen, ich würde mit den Nietzsche-Zitaten für eine Dichotomie von Körper und Geist argumentieren wollen. Jedoch sollten die Zitate zeigen, dass es sich eben nicht um eine Dichotomie handelt sondern um eine Einheit. Es ist mir aber auch klar, dass ich mich dort vielleicht undeutlich ausgedrückt habe und ich finde es schwer mithilfe einer Grammatik, die immer nach Teilung klingt, eine solche Einheit darzustellen. Ich hoffe Sie verstehen was ich meine. Deswegen glaube ich, dass wir bezüglich dieses Punktes doch eigentlich einer Meinung sind, also eher zu einer Einheit als zu einer Dichotomie tendieren. Danke für den Hinweis, das war wohl wirklich etwas undeutlich bzw. missverständlich von mir.
Was Bruce Lee und seine Trainingspläne angeht haben Sie sicher recht. Ich wollte in meinem Artikel auch nicht behaupten Pläne seien generell schlecht, ich wollte mich gegen die sture "Rocky-Mentalität" wenden. Wenn der Artikel diesen Eindruck vermittelt hat war ich vielleicht nicht klar genug in meinem Ausdruck.
So ist es auch für mich durchaus einleuchtend, dass zu Beginn ein Trainingsplan sehr sinnvoll sein kann, um die von Ihnen erwähnte Erfahrung zu erlangen.
Ich wäre auch für eine längere Diskussion bereit, aber aufgrund der eingeschränkten Möglichkeiten über solch ein online-Format will ich das hier nicht unnötig in die Länge ziehen:
Ich bin in der Regel nicht der Meinung, dass es so etwas wie eine Philosophie, die für jeden stimmt bzw. funktioniert tatsächlich gibt und deswegen kann ich natürlich verstehen wenn Sie von dieser Herangehensweise ans Training nichts halten und das ist auch in Ordnung. Ich persönlich bin sehr begeistert von dem was ich bis jetzt über den Daoismus gelernt habe und werde mich mit diesen Philosophien weiter beschäftigen. Ich denke auch nicht, dass ich irgendwelche unumstößliche Erkenntnisse gefunden habe oder finden werde, dies hier sind eben Ideen mit denen ich experimentiere. Denn für mich und vielleicht für manch Anderen, ist dies eine passende Trainings-Philosophie. Zumindest für heute.
LG,
Jan Fleischer