Pages

Monday, July 6, 2015

Wahre Stärke

Dieser Text knüpft thematisch an den letzten an und geht noch etwas weiter auf das erwähnte Themengebiet ein. Die Sache mit dem Loslassen nämlich. Dazu will ich noch sagen, dass dieser Text, so wie der letzte, wohl auch nicht wirklich zu einem Abschluss oder absolutem Ende kommen wird. Das liegt vielleicht einerseits an meiner Art zu schreiben, aber andererseits auch an der Natur des Themas, nämlich an der Natur selbst, die ja eine fließende ist. Die ganze daoistische Philosophie baut dabei darauf auf, dass die tatsächliche Realität nicht wirklich beschrieben werden kann, sondern erfahren werden muss. Deswegen kann ich hier nur darauf hinweisen und quasi..drum herumreden. Die Erfahrung muss wohl jeder selbst machen, um zu wissen was loslassen heißt. Diesmal geht es um Wahre Stärke und was sie mit Loslassen zu tun hat.


Die physiologische Manifestation des Loslassens äußert sich oft in Weinen oder Schluchzen, da Weinen die natürliche Reaktion des Menschen auf Schmerz ist. Im Moment der Verletzung kann der Schmerz zu groß sein und der Schutz durch Muskelspannung daher notwendig. Jedoch kann dieser Schutz später, nach dem schmerzlichen Ereignis, wieder aufgegeben werden, zugunsten von mehr Lebendigkeit und Freude.* Dazu etwas Daoismus:

*Diese Ansichten sind neben den erwähnten philosophischen Strömungen des Daoismus und Buddhismus angelehnt an Alexander Lowens Arbeit und damit der Bioenergetik. Viel von dem was hier steht ist auch dort zu finden, mit entsprechenden physischen Übungen, die den Prozess des Loslassens erleichtern sollen. Ich empfehle seine Bücher an dieser Stelle. You-Tube Fitness-Coach Elliott Hulse, ebenfalls großer Advokat der Bioenergetik (Bioenergetics), hat zu diesem Thema auch einige Videos auf Youtube gestellt, die einen ersten Eindruck geben können. Eine weitere effektive Möglichkeit ist natürlich auch Yoga. 

Laotse, der als einer der Gründerväter daoistischer Philosophie gilt, hat nur ein einziges Buch geschrieben. Der Legende nach wollte er die Stadt verlassen und eine der Stadtwachen bat ihn darum seine Weisheit mit ihm zu teilen. Auf die Antwort hin, dass er das nicht tun wird bzw. es nicht möglich ist diese Weisheit einfach durch Worte weiterzugeben, warf ihn die Stadtwache ins Gefängnis und wollte ihn so zwingen seine Weisheit niederzuschreiben. Laotse verfasste alles in Versform, d.h. man kann sich nie sicher sein wie etwas gemeint ist und die eigenltiche Bedeutung liegt wahrscheinlich selbst dann noch hinter den Worten. Die zweite Schwierigkeit mit diesem Text, dem Tao Te King (Daodejing) ist, dass er, wie zu erwarten war, im Original auf Chinesisch verfasst ist. Das führt dazu, dass auch die Übersetzung Interpretationssache wird. Trotzdem bin ich der Meinung, dass man von diesem großartigen Text einiges lernen kann. So wie von dem folgenden Textstück mit dem Namen Warnung vor der Stärke:



Laotse aka Laozi aka 老子
"Der mensch ist weich und schwach, wenn er geboren wird,
fest und stark, wenn er stirbt.
Kräuter und Bäume sind weich und saftig, wenn
                       sie entstehen,
dürr und hart, wenn sie sterben.
Denn das Feste und Starke gehört dem Tode,
das Weiche und Schwache gehört dem Leben.
Also auch:
Sind die waffen stark, so siegt man nicht.
Ist ein baum stark, so braucht er Stützen.
Das Starke und Große steht unten.
Das Weiche und Schwache steht oben."



Babies und kleine Kinder sind bekanntlich am beweglichsten. Darüber hinaus sind sie die Menschen, die sich am wenigsten zurückhalten und also noch nicht Opfer chronischer Muskelverspannungen geworden sind und also die beweglichsten sind und damit auch die lebendigsten. Nicht ohne Grund gibt es die Leichenstarre. So scheint Laotse hier das Schwache dem Starken vorzuziehen bzw. das weiche dem Festen. Aufgestauter Schmerz äußert sich im Körper in - ihr wissts schon - Muskelspannungen. Lässt man jetzt aber los und lässt die mit den Muskeln unterdrückten Gefühle zu und weint, so kehrt langsam Weichheit zurück in den Körper und mit ihr Beweglichkeit und damit Lebendigkeit; damit die Möglichkeit sich frei und authentisch auszudrücken und damit die Möglichkeit vollkommene Freude zu empfinden. Das kann für jeden unterschiedlich einfach sein. So kann man diese Gefühle, die der Vergangenheit angehören, von sich abfallen lassen und sich frei in der Gegenwart bewegen. Um eine von mir geschätzte psychologische Beraterin, hier die Webseite, (ja meine Mama) sinngemäß zu zitieren: Die Gegenwart können wir tragen, aber wenn wir auch noch Vergangenheit und Sorge um die Zukunft dazu tragen wird es schwer oder zu schwer. Vergangene prägende Erfahrungen zeichnen sich in den Muskeln ab, d.h. solange man diese Spannungen mit sich trägt, trägt man die Vergangenheit mit sich. Lässt man aber alles - bewusst aber nicht restriktiv - raus und los, traut man sich diese Gefühle zu erleben um sie hinter sich lassen zu können, so kann Weichheit in den Körper zurückkehren. Das Resultat ist, dass es sich leichter lebt, da man tatsächlich weniger mit sich herumträgt. Versucht mal drei Tage lang nicht aufs Klo zu gehen, dann versteht man schnell wieso Zurückhaltung von natürlichen Reaktionen und Abläufen auf Dauer ungesund ist...

Ich schließe mit einem Zitat von meinem Freund und Bruder Rathar Pich. Auf die Aussage hin, dass er es ja trotzdem hinkriegt, obwohl er zwei Jobs und oft Zehn-Stunden-Schichten arbeitet, antwortet er: "Der Kapitän spaziert." Der Kapitän spaziert und schleppt sich nicht durchs Leben weil er weder gestern noch morgen mit sich trägt und deswegen leichtfüßig spazieren kann. Er kriegt es nicht hin, was irgendwo Anstrengung impliziert, er spaziert. Um bei Laotses Wortwahl zu bleibn: So ist wahre Stärke  Schwäche.

No comments:

Post a Comment