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Wednesday, January 28, 2015

Von Ziellosigkeit lernen

Ziellosigkeit klingt nicht wirklich nach etwas, das man in seinem Leben haben will. Vor allem für westliche Ohren - ich weiß das, weil ich selber welche habe - sind die ersten Assoziationen mit Ziellosigkeit bzw. mit jemand oder etwas Ziellosem so etwas wie Faulheit oder Hedonismus. Etwas Zielloses ist schließlich nicht produktiv und bringt einen so wohl nicht näher zu den gewünschten Erfolgen. Der folgende Artikel wird sich dem widmen, was man vielleicht von der Ziellosigkeit lernen kann, ohne dabei zielorientiertes Handeln aufzugeben oder zu verteufeln. Dabei soll der Kampf bzw. die Kampfkunst wieder einmal als Haupt-Metapher dienen, da ein Fehler im Kampf sofortige und unschöne Konsequenzen haben kann. Das heißt, wenn es hier tatsächlich etwas zu lernen gibt, wird es sich im Kampf testen lassen. Dabei ist das natürlich nur ein Beispiel für eine Situation größter Anspannung, aber, wie ich finde, ein sehr gutes. Jede Bewegung, die man während des Kampfes ausführt hat einen Nutzen und sich vor einem Kampf mit Strategien und Taktiken zu beschäftigen zahlt sich auch auf dem höchsten Niveau immer wieder aus. Inwiefern also kann Ziellosigkeit hier hilfreich sein, wenn überhaupt?


Alan Watts gilt als einer der bekanntesten Vermittler asiatischer Philosophie im Westen und verbrachte sein Leben damit, der westlichen Welt diese nahe zu bringen. Eine der Ideen von denen westliche Kulturen potentiell profitieren könnten ist dabei eben die Ziellosigkeit. Es handelt sich dabei um Ziellosigkeit im buddhistischen Sinne und damit um etwas, das sich vielleicht etwas vom üblichen Gebrauch unterscheidet. Dazu Alan Watts:

"[The Chinese] think nature is purposeless. [...] When [they] say nature is purposeless this is a compliment. It's like [...] wandering on and on in a great forest without a thought of return. Haven't you done this? Haven't you gone on a walk with no particular purpose in mind? Carry a stick with you and you occasionally hit at old stumps. [...] It is at that moment that you learn purposelessness. [...] You pick up a pebble on the beach. Look at it. Beautiful. Don't try to get a sermon out of it, just enjoy it. [...] If you do that you become healthy. You become able to be a loving, helpful human being."*

Alan Watts bezieht sich hier auf die menschliche Veranlagung in allem einen tieferen Sinn zu suchen. Oft wollen wir mehr als wir haben, verkörpert durch Gier, oft wollen wir nicht akzeptieren, dass das, was wir wahrnehmen alles sein soll, manchmal verkörpert durch Philosophie oder Naturwissenschaft. Auch wenn es diese Veranlagung dem Menschen erlaubt hat großartige Fortschritte zu machen, kann sie auch ihre Schattenseiten haben. Wahrscheinlich ist auch hier Balance das Entscheidende. Geht man zu weit und will immer und immer mehr, so bleibt die Zufriedenheit immer um Haaresbreite außer Reichweite. Immer davon ausgehend, dass es doch noch mehr zu erreichen geben muss, ist der Blick stets auf die Zukunft gerichtet. Bleibt er dort dauerhaft wird man die Dinge, die man tatsächlich erreicht hat nicht genießen können, da man nur wieder das nächste zukünftige Ereignis im Kopf hat. Die Dinge so zu nehmen wie sie sind und damit die Ziellosigkeit verwirklichen kann also manchmal eine gesunde Idee sein. Natürlich ist es nichts Schlechtes sich Ziele zu setzen, geht man jedoch wie erwähnt zu weit, kann das ungesunde Folgen nach sich ziehen.

In vielen Dingen im Leben sind Ziele und Ambitionen essentiell, so auch im Kampf. Ohne sie schränken wir uns vielleicht nur selbst ein und können unser eigentliches Potential nicht realisieren. Während dem Kampf aber, während wir genau das tun, was wir mit unseren Ambitionen erreichen wollten (denn der Kampf ist schließlich das Ziel des Trainings), ist die Zeit zum Nachdenken über die Zukunft vorbei. Die Prioritäten ändern sich. Wenn ich z.B. Autor werden wollte, müsste ich dafür wohl sehr viel arbeiten. Wenn ich aber gerade schreibe, will ich die Handlung selbst genießen können. Deswegen ist es ja gerade das Schreiben, das ich mir ausgesucht habe. Natürlich gibt es wohl irgendwo ein Ziel weswegen ich schreibe, aber in dem Moment in dem ich schreibe, schreibe ich um zu schreiben. Im Kampf können die Konsequenzen dafür, dass man zu sehr an die Zukunft, an das Ergebnis des Kampfes denkt sehr schnell sehr unangenehm werden, daher eignet sich der Kampf als Beispiel gut. Im Moment des Angriffs gibt es keinen Platz für unnötiges Überlegen. Wenn man angreift, greift man an. Jedes Zögern kann gefährlich werden. In diesem Moment kann die Ziellosigkeit realisiert werden. Man kämpft in dem Moment nicht um zu gewinnen, sondern man kämpft einfach nur. Ohne einen Gedanken an die Zukunft zu verlieren kann man so alle Energie auf das fokussieren, was man gerade tut. Man denkt nicht zu sehr ans Gewinnen oder Verlieren und klammert sich an entsprechende Vorstellungen, sondern man bewegt sich frei im Moment. Der Moment genügt sich selbst und braucht nichts, das über ihn hinaus weist als Ziel. So kann der Kopf klar werden und man ist bereit entsprechend zu reagieren. Alan Watts liefert dazu zwei sehr passende Analogien:

"All music is purposeless. Is music getting somewhere? [...] If the aim of a symphony would be to get the final bar, the best conductor would be the one who got there fastest. See, [...] when you dance, do you aim to arrive at a particular place on the floor? Is that the idea of dancing?"

Nietzsche
Sowohl im Tanz als auch in der Musik ist die Handlung sich selbst genug. Es geht nicht darum irgendwo anzukommen, sondern nur darum zu tanzen, zuzuhören oder selbst Musik zu machen. Dazu verwendet Friedrich Nietzsche in seinem Meisterwerk Also sprach Zarathustra die Metapher des Seiltänzers. Auf dem Hochseil kann jeder kleine Fehler, jeder noch so geringe Verlust der Balance den Seiltänzer alles kosten. Wenn man jedoch die ganze Zeit über nur daran denkt wie gefährlich das eigentlich ist und wie weit man noch gehen muss, wird man sich nicht entspannen können und ein angespannter Körper braucht länger um richtig zu reagieren und z.B. die Balance wieder herzustellen. Ist man jedoch auf das Seiltanzen selbst fokussiert ohne dabei ans Ende zu denken, erlangt man die Möglichkeit sich zu entspannen und wird erfolgreicher sein. Der Seiltänzer ist eine großartige Metapher denn obwohl er klar und deutlich den Abgrund sieht und weiß wie nah er ihm ist, tanzt er. Der Tanz, weil er sich selbst im Moment genügt, ist der einzige Ausweg aus der unausweichlichen Gewissheit des Todes, da er nicht von etwas in der Zukunft noch zu erfüllendem abhängt. Außerdem, etwas weniger dramatisch ausgedrückt, kann man eine Fähigkeit wie das Seiltanzen nur meistern, wenn man voll dabei ist. Das heißt, frei von Gedanken an gestern und morgen und mit einem klaren Fokus auf den aktuellen Moment. So kann man leichter rechtzeitig auf jede kleine Bewegung des Seils reagieren, da man sich nicht erst noch entspannen, oder nachdenken muss bevor man handeln kann. Aus diesem Grund kann man sich inmitten des Kampfes nicht auf das erwartete Ergebnis konzentrieren. So schreibt Nietzsche weiter:

"Ich würde nur an einen Gott glauben, der zu tanzen verstünde." 

Wenn die Zeit zum Planen und Nachdenken vorbei ist und es wirklich Zeit ist zu handeln, dann denkt man nicht mehr nach über Sieg oder Niederlage. Man handelt einfach und in dieser Handlung ist alles erfüllt. Die Handlung benötigt kein weiterführendes Ziel, das über sie hinausweist. Das ist Ziellosigkeit. Mit einem klaren Geist der sich in der Handlung selbst auflöst gibt es keine Ablenkungen mehr und es ist möglich etwas tatsächlich zu meistern. Denn der einzige Weg etwas wirklich zu meistern, ist mit vollem Herzen dabei zu sein.*

*von Alan Watts (leicht umgeformt)


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